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»Lass uns eine Gasgranate werfen, damit sie verrecken«Die US-amerikanische NSA kopiert bekanntlich alles, was sie kriegen kann – aber der englische Geheimdienst GCHQ sitzt direkt auf der Leitung

Die Watergate-Affäre wäre heute wohl nicht mehr denkbar

Als 1972 Agenten dabei erwischt wurden, wie sie das Watergate-Gebäude verwanzten, in dem sich damals das Hauptquartier der Demokratischen Partei befand, erlebten die USA einen der grössten Polit-Skandale ihrer Geschichte. Er endete für Präsident Nixon mit dem bisher einzigen Rücktritt eines US-Präsidenten, und für die aufdeckenden Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein mit dem Pulitzer-Preis.

2013 wird nun deutlich, dass das nationale wie internationale Telefonnetz und das Internet totalüberwacht werden. Statt Agenten zu schicken, die in Gebäude einbrechen, wird jedes Telefon, jeder Laptop, jedes Smartphone als Abhörwanze benutzt – mit PRISM passiv, mit den Staatstrojanern auch mal aktiv. Dabei geht dieser Angriff auf die informationelle Selbstbestimmung nicht nur gegen den US-Präsidentschaftsbewerber, sondern gleich gegen alle Menschen weltweit. Er ging jedoch, so berichtet der NSA-Whistleblower Russ Tice, auch ganz konkret gegen den damaligen US-Präsidentschaftsbewerber Barak Obama, als dieser noch nicht im Weissen Haus sass, sondern als Senator von Illinois sich mühte, den Job zu kriegen.

An einen ähnlichen Aufschrei wie in der Watergate-Affäre ist jedoch nicht zu denken. Es ist nicht nur der englische The Guardian, der die Enthüllungen über PRISM veröffentlicht; in Kooperation ist hier auch wieder die Washington Post tätig, also dieselbe Zeitung, für die Bernstein und Woodward gearbeitet haben – Woodward ist heute einer der Herausgeber. Und wieder ist es ein Whistleblower, der der Presse hier die entscheidenden Informationen zukommen lässt. Diese Rolle hatte in Sachen Watergate der FBI-Agent Mark Felt, diesmal wird sie vom NSA-Agenten Edward Snowden ausgefüllt. Die Vorgehensweisen der beiden jedoch könnten unterschiedlicher nicht sein. Hier enden die Gemeinsamkeiten.

Felt blieb nämlich beim FBI, und machte dort Karriere. Er konnte sich auf die Diskretion als Presseinformant verlassen. Erst 2005 wurde öffentlich, dass er unter dem Decknamen “Deep Throat” Whistleblower war. Snowden dagegen hat lieber gar nicht erst versucht unentdeckt zu bleiben, und ist zunächst in die Sonderverwaltungszone Hongkong geflohen, die Teil der Volksrepublik China ist. Wie auch Felt kennt Snowden sein Fach wohl genau. Dieses hat sich dramatisch verändert.

Die Chance, als Whistleblower unentdeckt zu bleiben, ist heute nahezu Null. Die Überwachung ist so ubiquitär, so holistisch geworden, dass nicht nur der unter Folter monatelang ohne Prozess in einem Militärgefängnis festgehaltene Bradley Manning schnell entdeckt wurde; es werden heute auch Leute wie Julian Assange gejagt, die Menschen eine Chance zur anonymen Datenweitergabe geben möchten, so dass Whistleblowing trotz des enormen Überwachungsdrucks überhaupt noch möglich sein kann, ohne dass man gleich sein Leben aufgibt und die Flucht antritt.

Die USA haben sich gewandelt. Von der grundsätzlich freien und egalitären Gesellschaft dort, die auch schon in den 1970ern schwere Probleme hatte, ist nicht mehr viel übrig. Die Haltung der Öffentlichkeit zu Überwachung und auch totalitären Mitteln der Staatsführung ist heute nicht mehr vergleichbar. Wer hätte 1972 mit der Aussage punkten können, Watergate sei in Ordnung, schliesslich habe nur derjenige etwas zu befürchten, der etwas zu verbergen hätte? Heute kann man diese machtpolitisch dümmste aller Aussagen an jeder Ecke nachgeplappert hören, und bei weitem nicht nur in den USA. Der politische Mord mit Drohnen durch die Mächtigen ist weltweit akzeptiert. Die Folter zählt wieder zu den gängigen Mitteln des Rechtssystems, auch wenn letztere noch mit Euphemismen wie der “verschärften Befragung” rhetorisch kaschiert wird – oder es wird einfach zu Foltermitteln gegriffen, die nicht so offensichtlich sind wie eine mittelalterliche Eisenzange, wie beispielsweise im Falle Manning monatelange Entwürdigung und Schlafentzug.

Wie der US-amerikanische Professor Noam Chomsky im Interview im deutschen Fernsehen richtig anmerkt, sind dabei grundlegende Bürgerrechte aufgegeben worden, mit denen das Rechtssystem der USA bisher in einer jahrhundertelangen Tradition steht. Wem die Mächtigen dieser Welt heute etwas vorwerfen, der kann sich nicht mehr darauf verlassen, dass er einen fairen Prozess bekommt; stattdessen hängt (noch) an seiner Staatsbürgerschaft, ob er wie Manning erst einmal ohne Anklage monatelang weggesperrt wird, um dann in einem militärischen Schauprozess abgeurteilt zu werden, oder ob er von einer der US-amerikanischen Terminator-Drohnen schlicht getötet wird – gerne auch zusammen mit Freunden oder der Familie, die gerade um einen geschart sind: ein “Kollateralschaden”.

Holistische Kontrolle und Machtausübung bis zum gottgleichen Entscheid über Leben und Tod sind Alltag geworden. Sie werden auch kaum noch in der US-amerikanischen Öffentlichkeit in Frage gestellt, und erst recht nicht von “befreundeten” Staatsführern wie der deutschen Kanzlerin, für die dieser ständige Verstoss gegen die Menschenrechte beim Besuch Obamas in Berlin kein grosses Thema war. Im Gegenteil, aus ihrer Fraktion hört man Rechtfertigungen wie die von Bundesinnenminister Friedrich, das gehe alles in Ordnung, und liest man Wünsche wie die des Bundesnachrichtendienstes und der Bundeswehr, die ebenfalls über solche Mittel verfügen möchten.

Die öffentliche Meinung wird mit dem Trick der terroristischen Bedrohung hinreichend in Schach gehalten. Jedes Mittel zur Gewährleistung der Ordnung sei gerechtfertigt. Der nicht fassbare, nicht verstehbare innere und äussere Feind, der ständig bedrohlich und gleichzeitig seltsam diffus erscheint, erzeugt das gewünschte und zur Akzeptanz benötigte Angstszenario. Denn wenn wir alle ständig und immer bedroht werden, wer soll uns dann schützen wenn nicht ein guter Diktator, der über uns alle schlaflos wacht?

Eingeladen auf einem Sicherheitsforum, spazierte ich in einer freien Stunde zum See. Ein Gewitter überraschte mich, und ich flüchtete in eine Kneipe. Dort lernte ich einen Engländer kennen, und kam ins Gespräch. Der Mann erzählte mir von den damals gerade laufenden Sicherheitsvorkehrungen für die olympischen Spiele in London. Er berichtet, wie sie Flugabwehrraketen auf Hausdächern installierten, wie Kriegsschiffe in der Themse lagen, wie alles und jeder kontrolliert wurde.
Ich fragte ihn, woher so viel Angst ins englische Volk gekommen sei. Denn als wir es 1939 bis 1945 als Kriegsgegner hatten, waren die Engländer für ihren Mut berühmt. Insbesondere die Londoner zeichneten sich durch ihren Gleichmut aus, mit dem sie dem deutschen Bombenterror begegneten. Erregt wies er mich darauf hin, dass niemand wissen könne, ob und wann eine Bombe auch heute in London hochgehen könnte. Ich fragte ihn, wieviel die heutigen Feinde Englands denn an Köpfen zählten, die es bedrohten, und wieviele Feinde ausgebildet und bewaffnet bis 1945 ihm gegenüber standen; wie sehe er denn das Verhältnis der jeweils ergriffenen Massnahmen?
Er hatte darauf keine Antwort.

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